"Das eigentliche Studium des Menschen ist der Mensch." (Goethe)

Ich fühle mich gleichzeitig als Protokollant und Interpret der mich umgebenden Welt. Die Straße, ob im alltäglichen Leben, auf Reisen, im Fernsehen, in Zeitungen etc., animiert mich auf Schritt und Tritt. Diese Ereignisse und Bilder vermischen sich mit meinen eigenen Lebenserfahrungen. So "sehe" ich bei Allem die dahinter liegende Doppelbödigkeit. Nachdem ich viele Jahre innere und äußere Landschaften geschaffen habe, gilt mein aktuelles Interesse dem Menschen in seiner materiellen und geistigen Umwelt. Manchmal inspirieren mich Elemente, aus denen ich dann meinen eigenen Rhythmus entwickle. Ich verdichte sie durch Reihungen und Häufungen, durch Abstraktion, Vereinfachung, Vergrößerung, durch neue Kombinationen, Isolierung und fragmentarische Andeutungen. So durchdringen sich innere und äußere Welten, im besten Fall zu neuer Spannung und Dynamik.

Manchmal unterstreicht ein lichtes Ocker die Emotionalität und Spiritualität. Im Moment bevorzuge ich die Schwarz-Weiß-Palette. Sie bewirkt größere Abstraktion und läßt Direktheit wie auch Überhöhung zu. Ich sehe es nicht als "Verzicht", eher als eine geistige Existenzerfahrung.

 

Dörte Lehnigk

 

Die Bilder von Dörte Lehnigk spiegeln das, was die Künstlerin mit ihrem geistigen Auge gesehen hat, oder während des Schaffensprozesses assoziativ-bildnerisch sieht, entwickelt, fixiert und ausdrückt. Es sind menschliche Figuren, die in Beziehung treten, physiognomonisch undifferenziert, aber in ihrer Körpersprache vieldeutig und nicht festgelegt auf einen Typus; Menschen nebeneinander, miteinander, wartend, zuhörend, auch sprechend; verwunderte, erstaunte, engagierte, überraschte; Frauen, Männer, alte und junge; stehende, gehende, im Profil, auch als Schattenwurf; aus der Nähe, in der Ferne, in der Gruppe, auch vereinzelt auftretende ländliche Typen mit Mütze, städtische auch, Frauen im Pelz, Kinder.

Es sind Abstraktionen menschlicher Figuren mit einer Tendenz zum Konkreten, zum Erkennen, zum Wiedererkennen, die etwas sagen, sagen wollen; manchmal gibt es auch situatives, kollektives Schweigen. Je nachdem ist die Farbigkeit abgedunkelt, die Figuren dunkler als der Hintergrund, manchmal dazu etwas Ocker, etwas Rot für die bildnerische Balance.

Die Entwicklung zum Konkreten, zum menschlichen Sujet als Ergebnis eines Prozesses von abstrakter landschaftlicher Struktur, Flächenhaftigkeit und Tiefe hin zu Kompositionen, die den Menschen bildnerisch und inhaltlich in den Mittelpunkt stellen, erscheinen Dörte Lehnigk als gangbarer Weg, Sujet und Ästhetik in ihrer Malerei neu zu formulieren. "Nachdem ich viele Jahre innere und äußere Landschaften geschaffen habe, gilt mein aktuelles Interesse dem Menschen in seiner materiellen und geistigen Umwelt," sagt Dörte Lehnigk selbst über ihre Kunst; und wir erkennen in den Bildern, dass sie dieser hohen Selbsteinschätzung entsprechen.

 

Thomas Schulte